„Führung braucht Stärke“ – Warum der starke Mann kein Zukunftsmodell ist


Eine geschlechtersensible Analyse der Weltpolitik – von Merz bis Meloni

Alle reden vom Erstarken des Populismus – doch ein entscheidender Aspekt bleibt dabei oft unterbelichtet: die Geschlechterperspektive.

Denn das Bild des „starken Mannes“ steht im Zentrum vieler populistischer Bewegungen – und zwar unabhängig davon, ob Männer oder Frauen an der Spitze stehen. Politikerinnen wie Giorgia Meloni, Marine Le Pen oder Alice Weidel inszenieren sich bewusst nicht als „Frauen in der Politik“, sondern übernehmen autoritäre, konfrontative Stile, die mit traditionellen Männlichkeitsvorstellungen verknüpft sind. Geschlechter- oder Gleichstellungsthemen werden von ihnen gezielt ausgeklammert. Damit erschweren sie die Analyse der tiefgreifenden Bedeutung von Geschlechterbildern in politischen Diskursen – und verschleiern, wie sehr der Erfolg populistischer Bewegungen auf vertrauten Macht- und Rollenmustern basiert. Warum diese Entwicklung aus feministischer Sicht hochproblematisch ist – und welche politischen Alternativen es gibt, zeigt dieser Beitrag.

Die Rückkehr des starken Mannes – mit und ohne Bart

In vielen Ländern ist in den letzten Jahren ein beunruhigender Trend zu erkennen: Immer mehr Menschen sehnen sich nach Politik, die „klare Kante“ zeigt, „durchgreift“ und Ordnung verspricht. Ob Donald Trump, Jair Bolsonaro, Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan – sie alle inszenieren sich als unerschütterliche Führer, die Orientierung geben sollen.

Doch dieses Muster beschränkt sich nicht auf Männer. Auch rechtspopulistische Politikerinnen wie Giorgia Meloni (Italien), Marine Le Pen (Frankreich) oder Alice Weidel (AfD, Deutschland) greifen auf ähnliche rhetorische und stilistische Mittel zurück. Sie vermeiden es, mit klassisch „weiblichen“ Themen oder Rollen assoziiert zu werden, betonen Härte, nationale Stärke und Abgrenzung – und stellen sich damit bewusst in die Tradition des autoritär-maskulinen Führungsstils.

Diese Strategien verdecken, dass auch in ihren Programmen und Auftritten tief verankerte Geschlechterbilder wirksam sind – nur eben nicht im Sinne von Emanzipation, sondern als Reinszenierung patriarchaler Ordnung. Dass Frauen autoritäre Politik betreiben können, bedeutet nicht, dass Geschlecht dabei keine Rolle spielt – im Gegenteil: Es macht die Analyse geschlechtlicher Machtverhältnisse nur komplexer.

Warum Männlichkeit politisch wirksam bleibt

Der „starke Mann“ steht für Kontrolle, Autorität und Durchsetzungskraft – Eigenschaften, die mit hegemonialer Männlichkeit verknüpft sind. Seine Beliebtheit wächst vor allem in gesellschaftlichen Krisenmomenten: wirtschaftlicher Abschwung, kulturelle Verunsicherung, Klimakrise, Migration oder soziale Bewegungen wie Feminismus oder Klimagerechtigkeit.

In solchen Situationen entsteht ein wachsendes Bedürfnis nach klaren, einfachen Antworten – auch wenn diese in Wirklichkeit problematische Scheinlösungen darstellen. Komplexität, Widerspruch und Langfristigkeit werden zunehmend aus der politischen Sprache verdrängt.

Die zunehmende Zahl populistischer Frauen, die sich in der Rolle der „starken Führungspersönlichkeit“ präsentieren, zeigt dabei deutlich: Es geht weniger um das biologische Geschlecht, sondern um die Reproduktion eines autoritär geprägten Politikverständnisses, das mit traditioneller Männlichkeit assoziiert ist – unabhängig davon, wer es verkörpert.

„Führungsstärke“ ersetzt Integrität und Rechtsstaatlichkeit

Erschreckend ist dabei, dass mit dem Aufstieg autoritärer Männlichkeitsfiguren – und ihrer weiblichen Pendants – auch zentrale demokratische Werte untergraben werden: Integrität, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit werden zunehmend durch den Eindruck von „Tatkraft“ und „Durchsetzung“ ersetzt.

Donald Trump steht exemplarisch für diesen Wandel: Offenes Lügen, das Ausweichen vor Fragen, erratisches Verhalten und die permanente Regelverletzung wurden als Ausdruck von Authentizität und „Stärke“ gefeiert. Und auch in Deutschland sieht man, wie politische Maßnahmen – etwa die Zurückweisung von Geflüchteten an den Grenzen – nicht mehr vorrangig nach rechtlicher oder menschenrechtlicher Maßgabe bewertet werden, sondern danach, ob sie „klare Kante“ zeigen.

Diese Entwicklung ist gefährlich – denn sie verschiebt die Maßstäbe dessen, was als legitime politische Praxis gilt. Führungsstärke wird nicht mehr daran gemessen, ob sie Verantwortung übernimmt und Rechte schützt, sondern daran, wie entschlossen sie auftritt – selbst wenn sie grundlegende demokratische Prinzipien verletzt.

Friedrich Merz – Klarheit statt Gleichstellung

Auch in Deutschland ist diese Entwicklung spürbar. Friedrich Merz, derzeitiger Bundeskanzler, inszeniert sich seit Jahren als Vertreter eines konservativen Führungsstils. Begriffe wie Ordnung, Leistung und Disziplin prägen seine Rhetorik – Fürsorge, Gleichstellung oder Diversität spielen kaum eine Rolle.

In der Zusammensetzung seines Kabinetts fällt auf, dass wichtige Posten fast ausschließlich an Männer aus seinem engeren Netzwerk vergeben wurden. Auch seine ablehnende Haltung gegenüber Gender-Mainstreaming oder Gleichstellungspolitik passt ins Bild. Merz steht für ein Politikverständnis, in dem Autorität wichtiger ist als Teilhabe – und in dem klassische Männlichkeitsideale als normativ gesetzt werden.

Weltweite Beispiele: Autorität statt Vielfalt

Weltweit zeigt sich dieses Muster in unterschiedlichen Facetten:

  • Viktor Orbán (Ungarn): Reduziert Frauen auf traditionelle Rollen, nennt Gleichstellung westliche Dekadenz.
  • Recep Tayyip Erdoğan (Türkei): Schwächt Frauenrechte, verlässt die Istanbul-Konvention.
  • Jair Bolsonaro (Brasilien): Verhöhnt feministische Anliegen und LGBTQ+-Rechte.
  • Marine Le Pen (Frankreich), Giorgia Meloni (Italien), Alice Weidel (Deutschland): Betreiben eine autoritäre Politik mit klassisch maskulinem Habitus – ohne dabei für Frauenrechte einzutreten.

Auch wenn diese Akteurinnen selbst weiblich sind, bedienen sie das gleiche Narrativ wie ihre männlichen Kollegen – und erschweren damit die Sichtbarkeit struktureller Geschlechterverhältnisse in der politischen Analyse.

Scheinlösungen für echte Krisen

Geschlechterorientiert geschaut, wird deutlich: Der starke Mann (und seine weiblichen Abbilder) sind keine Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen – sondern ein Symptom kollektiver Verunsicherung. Sie bieten einfache Antworten auf komplexe Fragen – und verengen den Raum für demokratische Aushandlung.

Der Wunsch nach der Rückkehr zu einer „guten alten Zeit“ blendet nicht nur historische Ungleichheiten aus, sondern ignoriert auch die Errungenschaften jahrzehntelanger politischer Kämpfe: Arbeitsrechte, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen oder demokratische Beteiligung.

Wer den Eindruck erweckt, politische Lösungen könnten schnell und ohne Zielkonflikte herbeigeführt werden, täuscht bewusst. Denn echte Lösungen brauchen Zeit, Aushandlung und das Anerkennen von Komplexität – genau das wird aber in autoritär geprägter Politik zunehmend unmöglich gemacht.

Fazit: Gegen die Illusion der einfachen Antworten

Die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ – ob verkörpert von Männern oder Frauen – ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Angst. Sie bedient eine Illusion: dass es einfache, schnelle Lösungen gäbe – und dass komplexe Gesellschaften mit einfachen Mitteln zu „reparieren“ seien. Doch das führt zu Repression statt Fortschritt.

Alternativen: Politik anders denken

Demokratische Bewegungen stellen dem autoritären Führungsstil bewusst andere Prinzipien gegenüber:

  • Care statt Kontrolle: Verantwortung füreinander anstelle von Durchsetzung über andere.
  • Kollektive Führung: Entscheidungen im Team statt personalisierte Macht.
  • Intersektionalität: Soziale Fragen werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrer Überschneidung gedacht.

Diese Perspektiven wollen nicht zurück in alte Ordnungsmuster – sondern eröffnen neue Räume für Gerechtigkeit und Teilhabe. Nicht als moralische Belehrung, sondern als realistisches Angebot für eine gerechtere, offenere und demokratischere Zukunft.

FOTO: Bundesregierung / Jesco Denzel

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