Schon im Kleinkindalter werden die Grundlagen für Geschlechterrollen geschaffen – etwa durch bestimmte Farbauswahlen, geschlechtsspezifisches Spielzeug und das Verhalten der Eltern. Diese frühen Einflüsse lassen es so erscheinen, als wären bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen „natürlich“, obwohl sie von Kultur und Geschichte geprägt sind.
Gleichzeitig beeinflussen traditionelle Rollenbilder unser Verhalten und unsere Gesellschaft oft unbewusst. Die Auseinandersetzung mit diesen Mustern, die sich von der Familie über institutionelle Rahmenbedingungen bis hin zur modernen Partnerschaft erstrecken, fordert dazu auf, über bekannten Normen hinauszudenken und neue, gleichberechtigte Perspektiven zu entwickeln….
Kleinkindprägung
Schon im Kleinkindalter, bevor Kinder Geschlechterrollen bewusst verstehen, werden ihnen durch ihr Umfeld bestimmte Muster beigebracht. Dies beginnt bei der Farbwahl der Kleidung: Rosa für Mädchen, Blau für Jungen. Auch Spielzeug wird oft nach Geschlechtern unterschieden: Puppen und Küchenutensilien für Mädchen, Autos und Werkzeuge für Jungen. Bereits im Alter von ein bis zwei Jahren entwickeln Kinder starke Vorlieben für „geschlechtertypisches“ Spielzeug.
Doch nicht nur Spielzeug prägt die Geschlechterrollen. Auch die Sprache und das Verhalten von Eltern und anderen Bezugspersonen sind entscheidend. Mädchen wird häufiger zugehört, während bei Jungen eher körperbetonte Interaktionen gefördert werden. Dadurch entstehen unterschiedliche Verhaltensweisen: Mädchen werden oft für Fleiß und Ordentlichkeit gelobt, während Jungen für Mut und Durchsetzungsvermögen anerkannt werden.
Dadurch dass diese Prägung so früh passiert, erscheinen all diese Verhaltensweisen als „natürlich“ – quasi biologisch vorgegeben. Menschen sind auf jeden Fall verschieden und manche Charaktereigenschaften, Vorlieben und Anlagen werden uns auch in die Wiege gelegt, aber diese Veranlagungen sind individuell und vielfältig. Diese einfache zweigeteilte Vorstellung wie Mädchen und Jungen angeblich sind, steht der Entwicklung vielfältiger Fähigkeiten und Interessen entgegen, weil diese dominanten Bilder die eigene Vorstellung und auch die Angebote zur Entfaltung stark beeinflussen.
Rollenstereotype gehen durch uns durch
Das zentrale Problem besteht darin, dass wir zwar aktiv versuchen können, stereotype Geschlechterrollen zu überwinden und Gleichberechtigung zu fördern, gleichzeitig aber auch tief in uns verankerte Muster aus der frühkindlichen Prägung nicht einfach ablegen können. Die frühen Einflüsse prägen unser Denken und Handeln so stark, dass wir unbewusst immer wieder in diese Muster zurückfallen, selbst wenn wir uns bewusst dagegenstellen. Doch es geht noch weiter: Wir haben uns vor dem Hintergrund dieser Bilder entwickelt. Als Frauen übernehmen wir nicht nur oft fürsorgliche Rollen, sondern entscheiden uns häufig auch für soziale Berufe oder Teilzeitarbeit, weil wir uns Kinder wünschen und zusätzlich manche Erwartungen an uns internalisiert haben. Wir haben in dem Sinne nicht die Wahl uns für oder gegen diese Prägung und die Rollenbilder zu entscheiden.
Dabei ist niemand persönlich „schuld“ an dieser Situation. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger sozialer und kultureller Prägungen. Doch dieses Paradox, einerseits Rollenstereotype durchbrechen zu wollen und andererseits Klischees zu leben, kann zu einer zusätzlichen Belastung gerade für manche Frauen werden. Es stellt eine weitere Aufgabe dar, die oft nicht nur in einem inneren Konflikt resultiert, sondern auch als ein weiterer Moment des „Scheiterns“ wahrgenommen werden kann. Denn während wir versuchen, uns von den alten Rollenbildern zu befreien, erleben wir gleichzeitig, dass wir unbewusst in genau diese zurückfallen. Diese Diskrepanz verstärkt den Druck und kann das Gefühl erzeugen, den eigenen Idealen und Erwartungen nicht gerecht zu werden.
Besonders deutlich wird dies bei der Mutterrolle. Obwohl Väter heute mehr an der Kindererziehung beteiligt sind, übernehmen Frauen meistens immer noch in Familien den größten Teil der Fürsorge- und Hausarbeit. Auch bleibt die mentale Last der Familienorganisation oft bei den Müttern. Sie sind es, die sich um Kita-Plätze, Termine und gesunde Ernährung kümmern, während Väter als „Co-Piloten“ in der Familienlogistik wahrgenommen werden, obwohl sich eine andere Verteilung gewünscht wird.
Diese Ungleichheit entsteht nicht unbedingt nur, weil Väter sich nicht engagieren wollen, sondern weil sie tief verwurzelte gesellschaftliche Erwartungen spiegeln, die alle unbewusst verinnerlicht haben. Von klein auf wird Frauen beigebracht, fürsorglich zu sein und die Bedürfnisse der anderen im Blick zu haben– Eigenschaften, die in der Mutterrolle erwartet werden
Das Bewusstsein über diese Widersprüche ist jedoch der erste Schritt, um sie sichtbar zu machen und zu hinterfragen. Indem wir diese Widersprüche anerkennen und uns selbst nicht zu hart verurteilen, können wir vielleicht mit Humor und Solidarität nach und nach Veränderungen anstoßen. Wenn sich dann noch Männern mit auf den Weg machen würden, Männlichkeit und ihre Rolle bei der Sorgearbeit zu hinterfragen, würde das den Wandel zusätzlich unterstützen. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der oft mühsam ist und nur von Empathie, Reflexion und Zusammenarbeit getragen werden kann.
Die Rolle der Familie
Die Familie spielt eine wichtige Rolle bei der Weitergabe von Geschlechterrollen und -stereotypen. Kinder lernen v.a. durch Beobachtung und Interaktion mit ihren Familienmitgliedern, was als „typisch“ für Jungen oder Mädchen gilt.
Deshalb wirkt sich hier auch erschwerend aus, dass es so schwer ist diese Rollenzuschreibungen zu durchbrechen oder zu verändern. Oft spiegeln die Rollenverteilung in der Familie eben bekannte Muster wider: Der Vater arbeitet und kümmert sich zuhause v.a. um den Außenbereich des Hauses, während die Mutter Teilzeit arbeitet und den Haushalt übernimmt. Diese Traditionen beeinflussen die Berufswahl der Kinder und können auch zu Ungleichheiten in der Nachfolgeplanung von Familienunternehmen führen, bei der Töchter oft benachteiligt werden.
Auch die Art und Weise, wie Familienmitglieder miteinander kommunizieren, prägt das Geschlechterverständnis der Kinder. Wer tröstet mehr, wer ermahnt? Wer gleicht aus, wer hört zu und wer erklärt das Weltall?
Herausforderung der gleichberechtigten Elternschaft
Es ist zu sehen, dass die meisten Paare eigentlich nicht diese traditionelle Rollenmuster leben wollen. Viele Paare wünschen sich eine gleichberechtigte Partnerschaft, in der beide Partner Karriere und Familienarbeit teilen. Doch oft kommt es anders, besonders wenn Kinder da sind. Paare verhandeln ihre Rollen neu, greifen aber oft auf traditionelle Muster zurück, obwohl sie diese ablehnen.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, wie die Beispiele der Prägung und Verinnerlichung bestimmter Bilder gezeigt haben. Häufig spielen aber auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle, wenn der Vater mehr verdient als die Mutter, die dann Teilzeit arbeitet oder länger in Elternzeit geht.
Für eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft braucht es nicht nur den Willen beider Elternteile, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen, die z. B. mit vielfältiger und qualitativer Kinderbetreuung und flexible Arbeitsmodellen eine echte Wahlfreiheit ermöglichen und Familien nicht am Spagat zwischen Arbeit und Kindern aufreiben.
Familienbilder und „natürliche“ Geschlechterrollen: historisch betrachtet
Ein weiterer Grund, warum sich Geschlechterstereotype hartnäckig halten, ist die Vorstellung, dass diese Rollen „natürlich“ oder „biologisch bedingt“ seien. Diese Ansicht geht auf historische Prozesse zurück, die eng mit der Entstehung der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert verbunden sind.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der Industrialisierung entstand ein neues Familienmodell, das die Trennung von Arbeits- und Lebenswelt betonte: Der Mann verdiente das Geld außerhalb des Hauses, während die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmerte. Dieses Modell machte die Zuordnungen zur festen Grundlage und führte zur Vorstellung von „natürlichen“ Geschlechterrollen: Der Mann als Ernährer und Beschützer, die Frau als fürsorgliche Mutter und Hausfrau.
Diese Rollenbilder wurden über Generationen weitergegeben und durch Institutionen wie Kirche, Schule und Medien verbreitet. Dadurch wurden Stereotype, die ursprünglich auf einer bestimmten historischen und wirtschaftlichen Situation beruhten, zu scheinbar natürlichen Gegebenheiten und prägen unser Denken bis heute.
Es ist interessant, dass sich diese Vorstellung von Familienmodell gesellschaftlich so tief eingebettet hat, obwohl diese Idee der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts mit klarer Rollentrennung gar nicht der Realität der meisten Menschen damals entsprach. Besonders in Arbeiterfamilien mussten auch Frauen und Kinder oft arbeiten, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Das Bild der Frau als „Hausfrau und Mutter“ war für sie unerreichbar. Auch Armut war weit verbreitet und traf vor allem alleinerziehende Frauen und ihre Kinder. Zudem gab es schon immer eine Vielzahl von Lebensformen, wie zum Beispiel Großfamilien oder Wohngemeinschaften.
Dennoch wird das Bild der „bürgerlichen Familien“ als Bild an vielen Stellen zentral verbreitet. Diese sogenannte „Ideologie der Familie“ war nicht nur ein Mittel zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung, sondern trug auch dazu bei, bestehende Ungleichheiten zu verschleiern. Diese Vorstellung einer idealen Familie, die auf klaren Geschlechterrollen basierte, wurde dann besonders nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD stark propagiert. Sie hatte weitreichende Auswirkungen auf politische und wirtschaftliche Systeme, etwa in Bezug auf Steuer- und Rentenregelungen. Zudem spielte sie eine zentrale Rolle im ideologischen Kampf zwischen der BRD und der DDR, indem sie ein Bild von Familie und Gesellschaft vermittelte, das die bestehenden Machtverhältnisse unterstützte.
Zur Veranschaulichung:
Exkurs: Rollenbilder in der DDR
Das Familienmodell der DDR unterschied sich deutlich von dem der Bundesrepublik und führte zu anderen Herausforderungen und Rollenstereotypen. Die DDR setzte sich für die Gleichstellung von Mann und Frau ein und förderte dies durch Maßnahmen wie die Vollbeschäftigung von Frauen, gleichen Zugang zu Bildung und beruflicher Ausbildung sowie gesetzliche Regelungen zur Gleichberechtigung. Diese politischen Rahmenbedingungen ermöglichten Frauen eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine höhere Präsenz in „männlichen“ Berufen im Vergleich zu Westdeutschland.
Jedoch entstanden auch neue Rollenkonflikte: Trotz der Förderung der beruflichen Gleichstellung trugen Frauen in der DDR oft immer noch die Hauptlast der Hausarbeit und Kindererziehung, was zu einer Doppelbelastung führte. Das Idealbild der „sozialistischen Mutter“, die sowohl beruflich als auch familiär erfolgreich sein sollte, setzte Frauen unter Druck, allen Anforderungen gerecht zu werden. Diese Idealisierung erzeugte in vielen Fällen Unverständnis gegenüber Frauen, die diesem Bild nicht entsprachen.
Ein weiterer Punkt war die mangelnde Wertschätzung der Hausarbeit und Familienarbeit. Zwar wurde die berufliche Rolle der Frau in der DDR stärker betont, jedoch blieb die Anerkennung für die Care-Arbeit gering, was ebenfalls in Westdeutschland der Fall war. Die Hausarbeit wurde in beiden Systemen oft als selbstverständlich angesehen und wenig gewürdigt, obwohl sie für das Funktionieren der Gesellschaft unerlässlich war und ist.
Zudem blieben trotz der Bemühungen um Gleichberechtigung in der DDR traditionelle Rollenbilder bestehen. Männer übernahmen auch hier seltener Aufgaben im Haushalt oder in der Kinderbetreuung, obwohl hier ja beide gleich viel in Erwerbsarbeit eingebunden waren. Die Systeme unterscheiden sich also deutlich bei der Beteilung von Frauen im Erwerbsleben, an der Vorstellung, das Haus- und Sorgearbeit „Frauensache“ ist, wird in beiden Systemen eifrig festgehalten.
Zusammengefasst führte das DDR-Familienmodell zu einem anderen Geschlechterverhältnis, führte jedoch auch zu Herausforderungen und Rollenkonflikten, die gerade im Bereich der Anerkennung der unbezahlten Arbeit den Problemen in Westdeutschland ähneln.